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Mit 50 Immobilien in die finanzielle Unabhängigkeit oder in den Abgrund?!

16.08.2020: Kaum ein Tag vergeht, an dem mir bei Youtube oder Facebook niemand erzählen will, wie man mit dem Sammeln von möglichst vielen Immobilien innerhalb kürzester Zeit reich werden kann. Aber was soll man von Sprüchen wie „Ich habe in den letzten 4 Jahren 50 Immobilien gekauft!“ oder „Werde unabhängig mit 5.000 Euro passivem Einkommen aus Deinen Immobilienportfolio!“ halten?

Karikatur Immobiliencoaches

Um es vorweg zu nehmen: Wer glaubt, beim Kauf von vermieteten Wohnungen oder Mehrfamilienhäusern innerhalb von ein, zwei oder fünf Jahren von Null auf Fünfzig oder gar Hundert durchstarten zu können, lebt Dank der diversen Internet-Coaches in einer Scheinwelt und verbringt einfach zu viel Zeit auf Youtube und Co. Wer professionell ins Immobiliengeschäft einsteigen will, braucht dafür deutlich mehr als ein Excel-Tool für die Wirtschaftlichkeitsrechnung oder teure "Coachings“ von Typen, die selbst keine nachhaltige Erfahrung haben.

Im Folgenden finden Sie als "Jung-Investor" meine persönliche Meinung zu den Ratschlägen und Tipps der diversen Investmentexperten. Meine Meinung - eine absolute Wahrheit gibt es nicht- beruht auf rund 30 Jahren Erfahrungen im Bereich Immobilienfinanzierungen und mehreren Jahren in der Immobilienverwaltung- und -vermarktung. In dieser Zeit habe ich diverse Kunden über Jahre bei der Finanzierung ihrer Anlageimmobilien begleitet. Ich selbst habe mich aus diversen und überwiegend rein persönlichen Gründen gegen die Anlage in "Betongold" entschieden. Einzige Ausnahme ist die von mir selbst bewohnte Immobilie.

"Mit 50 Immobilien in die finanzielle Unabhängigkeit?!"

Wer Fan beispielsweise von Alexander Raue und seinem Youtubekanal "Vermietertagebuch" ist, träumt wahrscheinlich auch schon davon in wenigen Jahren 50 Immobilien zu kaufen, um so finanziell unabhängig zu werden. Raue hatte sich ja anfangs 10 Jahre Zeit für die 50 Immobilien genommen, diese aber schon nach 4 Jahren (also Mitte 2020) im Portfolio. Das reichte ihm gem. eigenen Angaben, um seinen gut bezahlten Job in der Schweiz zu kündigen und nach Leipzig umzusiedeln.

Raue propagiert ein einfaches Prinzip: eine Immobilie rechnet sich für ihn, wenn sie einen monatlichen Cash-Flow von 1 o/oo des Kaufpreises erzielt. Man muss dann einfach nur genug Immobilien zusammenbekommen, um finanziell unabhängig zu sein. In seinen Videos ist immer wieder von einer Zielmarke von 5.000 Euro im Monat die Rede. Diese 5.000 Euro sind also das passive Einkommen (so wird das in der "Immobilien-Coaching-Szene" genannt), das finanzielle Unabhängigkeit und ein sorgenfreies Leben garantieren? Und das soll man erreichen, indem man beispielsweise Wohnungen in C- oder eher D-Lagen erwirbt, die einen Rohertrag von jeweils 50 bis 100 Euro im Monat erwirtschaften?!

Sorry, aber man muss schon ziemlich naiv sein, um wirklich daran zu glauben!

Wenn eine Immobilie nach Abzug der normalen laufenden Kosten (Hausverwaltung, laufende nicht umlegbare Betriebskosten und Finanzierung) im Monat 50 Euro "Cash-Flow" erwirtschaftet, ist das nicht mehr als ein Taschengeld. In dem Augenblick, in dem die Miete ausbleibt oder außerplanmäßige Kosten auftauchen, kippt das sofort ins Gegenteil. Aus der Cash-Maschine wird dann ganz schnell die Geldvernichtungsmaschine. Bei den 50 Euro Mietüberschuss im Monat reicht schon ein kaputter Wasserhahn, um den berühmt-berüchtigten Cash-Flow von einem halben Jahr zunichte zu machen. Bei größeren Ausgaben, wie z.B. einer Komplettrenovierung oder einer neuen Küche, hat sich das mit dem Cash-Flow dann gleich für mehrere Jahre erledigt.

Das Investment in niedrigpreisigen Immobilien irgendwo in der sächsischen oder mecklenburgischen Pampa hat einen besonderen Haken. Genauso niedrig wie die Kaufpreise, sind eben auch die Mieten. Die Kosten für Instandhaltung und Modernisierung oder auch die sonstigen laufenden Betriebskosten sind aber häufig genauso hoch wie in höherpreisigen Regionen. Der tropfende Wasserhahn kostet mich in Chemnitz schnell eine ganze Monatsmiete, in Speckgürtel von Hamburg dagegen nur die Miete von 1 oder 2 Wochen. Und je kleiner eine Wohnung ist, desto stärker schlagen solche einfachen Kosten zu Buche, denn dem Handwerker ist es egal, ob der den Wasserhahn in einer 20 oder 100 qm Wohnung austauscht.

Aber nicht nur die Instandhaltungskosten oder Mietausfälle können einem schnell einen Strich durch die Rechnung machen. Raue und Co. schwärmen von dem "Passiveinkommen". Dabei geht es darum, möglichst wenig eigene Zeit in die Immobilien zu investieren (ausgenommen vielleicht, auf diversen Immobilienportalen oder im „Investorennetzwerk“ laufend nach weiteren vermeintlich lukrativen Investments zu suchen). Alles, was Zeit kostet, wird an externe Fachleute abgegeben, beispielsweise die Objektbesichtigung vor dem Kauf oder die Neuvermietung. Das ist sicher nicht dumm, nur kostet mich das als Vermieter schnell mal den kalkulierten "Cash-Flow" von 1-2 Jahren. Da kann man nur hoffen, dass die Mieter in der Wohnung uralt werden.

Das berühmte "passive Einkommen", mit dem ich bei geringst möglichem Arbeitsaufwand gut und bequem leben kann, werde ich mit Immobilien meistens erst in dem Augenblick erzielen, in dem die Immobilien abbezahlt sind. Die ersparten Zinsen sind letztlich genau das, wovon ich als Vermieter leben kann. Bis dahin kann von "passivem Einkommen" kaum die Rede sein. Das gilt insbesondere auch für die Handwerker oder Heimwerkerkönige, die sich höchstpersönlich und selbst um die laufende Instandhaltung oder Hausverwaltung kümmern wollen. Was da am Monatsende vielleicht mehr übrig bleibt, ist allerdings alles andere als ein "passives Einkommen". Dafür muss man richtig arbeiten!

Die Idee, möglichst viele Immobilien mit einem geringen Liquiditätsüberschuss zu kaufen, um dann in der Summe von eben diesem Liquiditätsüberschuss leben zu können, ist Wunschdenken und eine Milchmädchenrechnung. Wer da auf Tipps von selbsternannten Experten vertraut, die selbst erst 1-5 Jahre Erfahrungen als Immobilieninvestoren mitbringen, riskiert den finanziellen Schiffbruch.

Und selbst wer tatsächlich im Schnitt 5.000 Euro monatlich an "Bruttoertrag" erwirtschaftet, wird schnell feststellen, dass davon nach Abzug von Steuern, Krankenversicherungsbeiträgen und anderen Kosten nicht mehr ganz so viel übrig bleibt. Für jährlich 4x Luxusurlaub auf Mauritius oder den 911er wird es definitiv nicht reichen (ausgenommen, man macht die Zahlung der Leasingraten zu seinem alleinigen Lebensinhalt). Sorry, aber das mit dem "passiven Einkommen" und sorgenfreien Leben ist mit diesem "Investmentplan" reines Wunschdenken.

Den Followern vom Vermietertagebuch,  empfehle ich u.a. einen Youtube-Clip von Erol Narin, der sich darin kritisch mit der Ertragsrechnung von Alexander Raue auseinandersetzt. Siehe https://youtu.be/BJ6RLemxPtU . Der kommt bei den Wirtschaftlichkeitsberechnungen nach auf wesentlich depremierendere Zahlen als oben genannt.

Man muss auch nicht besonders clever sein, um das eigentliche Geschäftsmodell der selbsternannten Immobiliencoaches zu durchschauen. In diesem Business geht es überhaupt nicht darum, mit den Immobilien Geld zu verdienen. Die "echte Kohle" wird mit den sog. Coachings gemacht. Immerhin ist Alexander Raue (um bei dem Beispiel zu bleiben) so fair und weist eher nebenbei genau darauf hin. Er nennt es nur nicht "Coaching-Gebühren", sondern spricht eher nebulös von Einnahmen, die er über seinen Blog generiert. Ob es sich dabei um Werbeeinnahmen durch Werbung (z.B. in den Youtube-Videos) oder die Coaching-Honorare handelt, bleibt offen.

Fazit

Mit dem Sammeln beliebiger Wohnungen in beliebigen Lagen, ist auf Dauer kein echtes Geld zu verdienen. Geld kann man mit Immobilien letztlich nur verdienen, wenn man sie entschuldet (hat) oder mittels Kapital bzw. eigenem Arbeitseinsatz entwickelt. Sicher gibt es auch immer wieder Objekte, bei denen man -abgesehen von Mieterhöhungsschreiben- nicht viel Zeit und/oder Geld investieren muss, aber das sind dann oft reine Zufallstreffer.

Als Käufer(in) einer vermieteten Immobilie sollten Sie immer daran denken, dass Sie der letzte in der Wertschöpfungskette dieser Immobilie sind!

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